Sonntag, 12. Oktober 2008

Ein jeder schnitzt sich nach Belieben ...

Aufklärung

Was soll ich thun, was soll ich glauben?
Und was ist meine Zuversicht?
Will man mir meine Zuflucht rauben,
Die mir des Höchsten Wort verspricht?
So ist mein Leben Gram und Leid
In dieser aufgeklärten Zeit.

Ein jeder schnitzt sich nach Belieben
Jezt selber die Religion;
Der Teufel, heißt es, ist vertrieben,
Und Christus ist nicht Gottessohn;
Und nichts gilt mehr Dreyeinigkeit,
In dieser aufgeklärten Zeit.

Die Taufe, das Kommunicieren,
Ist für die aufgeklärte Welt
Nur Thorheit wie das Kopulieren,
Und bringet nur den Priestern Geld;
Der Kluge nimmt ein Weib und freyt
Nach Art der aufgeklärten Zeit.

Der Ehebruch ist keine Sünde,
Noch weniger die Hurerey;
Und obs gleich in der Bibel stünde,
Steht doch der Galgen nicht dabey.
Drum ists galante Sittlichkeit
In dieser aufgeklärten Zeit.

Aus "Des Knaben Wunderhorn" 1808

und "publik-forum" wäre nicht publik forum, fände sich zu diesem Zitat nicht eine wunderbar begründete Antithese
Als innerkirchlicher Spaltpilz erweist sich vor allem die wörtliche Lesart der Bibel, wie sie in fundamentalistisch-evangelikalen Gemeinschaften üblich ist. Die historisch-kritische Bibelauslegung hat unwiderruflich gezeigt, dass »Gottes Wort« – die »Offenbarung« – nicht ohne menschliche Ausdeutung zu haben ist.
Unwiderruflich!

Keine Kommentare: