Freitag, 31. Dezember 2010

Mit neuen Augen



Mählich beginne ich, mich an meine neuen Augen zu gewöhnen. Die Welt ist jedenfalls bunter und klarer geworden. Euch alles Liebe und Gute fuer (schwedische Tastatur enthält keinen Umlaut ue) das neue Jahr.

Dietrich Bonhoefers "Von guten Mächten" ist jedenfalls das einzige, wenigstens das schönste Neujahrslied, das sich in christlichen Gesangbuechern findet.

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben,
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Ref:
Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Noch will das Alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach, Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen
das Heil, für das Du uns beweitet hast.

Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus Deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört Dir unser Leben ganz.

Lass warm und still die Kerze heute flammen,
die Du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all Deiner Kinder hohen Lobgesang.

Dienstag, 14. Dezember 2010

Lucia und ein Dankeschön


Als schwedisches Mädchen hat man am 13.12. etwa vier Möglichkeiten der Darstellung. Die interessanteste ist zweifellos Lucia. Allerdings in der Familie der ältesten Schwester vorbehalten, im Kindergarten nicht so streng limitiert, ab Schulalter gibt es eigentlich nur eine einzige Lucia pro Schule (eine pädagogische Herausforderung ersten Ranges). Dann Tärna (Jungfrau) ebenfalls zahlenmäßig begrenzt, aber beliebt, für die Mädchen, die gar keine Lust haben, in weißen Kleidern einherzuschweben bleibt die Möglichkeit, als Tomte (eine Art schwedischer Gnom) oder als Pepparkaksgubbe aufzutreten. Jungen bleibt da nur die Rolle des Stjärngosse (eher unbeliebt) oder wiederum als Tomte (eher männlich) oder als Pepparkaksgubbe (gewissermaßen die Genderversion).

Man sieht, das ist eher ein Fest für Mechen, wie meist. Wobei im ziemlich gendermaingestreamten Schweden eigentlich alle Kinder Lucia sein dürfen, auch die Jungen. (Für Gegner des Gender-Mainstreaming sei gesagt, daß dies eine seeeeeeeehr theoretische Möglichkeit ist).  Die Behauptung, man könne nur als langhaarige schwedische Blondine Lucia werden, wird von dem meist politisch äußerst korrekten Schweden heftigst bestritten, allerdings fiel in den letzten Jahrzehnten der Geschichtsschreibung die Wahl landauf, landab meist völlig zufälligerweise immer auf ein schwedisches Mädchen mit langen blonden Haaren.

Meine jüngere Enkeltochter Naomi als Tärna.

Mir geht es wieder besser, die Star-Operation ist einäugig überstanden, ich stelle erstaunt fest, daß die Welt in roten grünen blauen Farben sowie deren Mischtönen strahlt, statt wie bisher in einem milden altrosa bis mittelblaugrau. Danke für Eure guten Wünsche und für Eure Gebete. Am Freitag folgt der nächste Akt, und diesmal sind die Voroperationsbauchschmerzen zwar noch da, aber merklich geringer. 

Montag, 13. Dezember 2010

Lucia in Stockholm



Gestern abend - einen Tag nach den islamistischen Terroranschlägen - fand in Stockholm wieder das große Konzert zu Ehren der Heiligen Lucia statt. Daß im erzprotestantischen Schweden nicht nur das größte Fest des Winterhalbjahres der Heiligen Lucia geweiht ist, sondern auch ein urkatholischer Hymnus in lateinischer Sprache gesungen wird, finde ich bemerkenswert.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

8. Türchen



Das Alma redemptoris mater in feierlicher Form. Zum heutigen Festtag.

Immaculata, Blogpause und eine kleine Bitte


Der 8. Dezember ist eigentlich immer mein großer Tag. Weil ich vor 8. Jahren an einem 8. Dezember in die Kirche aufgenommen wurde. Und weil ich außerdem kein Dogma so vielschichtig und interessant finde, wie das, das wir am Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Gottesmutter Maria feiern. Mir fehlt es heute allerdings ein bißchen an der Konzentration, um Lesbares dazu zu produzieren.

NLM hat eine kleine Sammlung patristischer Texte ins Netz gestellt, und die Blogozese hat sich heute auch viel Mühe gegeben.

Für mich beginnt heute eine mindestens mehrtätige Blogpause, Muß mich morgen einer Augenoperation unterziehen (Star) und darf dann erstmal weder Zeitung lesen (kann man verschmerzen) noch bloggen, Wenn wer an mich denkt, fänd ich das lieb.

Und ich schließe heute in mein Gebet eine liebe Freundin ein, die in den nächsten Tagen ihr Kind erwartet.

Dienstag, 7. Dezember 2010

Ambrosius, Luther, Bach, 7. Türchen



Ambrosius wird heute mit einem großen G geehrt, einem gebotenen Gedenktag. Ist ja auch das mindeste für den Urvater des ambrosianischen Gesanges. Und da bietet es sich doch an, als 7. Türchen Luthers Übersetzung des ambrosianischen Veni redemptor gentium und eine von Bachs zahlreichen Vertonungen - alle höchst bekannt - einzustellen. Wie "brav" Luther bei seinen Übersetzungen so im Großen und Ganzen dann doch war, läßt sich hier nachlesen.

Montag, 6. Dezember 2010

6. Türchen: Congaudentes Exsultemus


Schon komisch, dieser römische Generalkalender. Am 4. Dez. keine Heilige Barbara und am 6. Dezember "bloß" ein nicht gebotener Gedenktag. Bis zur Kalenderreform war der 6. Dezember immerhin noch ein Fest 3. Klasse, also ein gebotener Gedenktag. Aber St. Nikolaus hatte ja schon anläßlich der tridentinischen Reform Federn lassen müssen, so wurde in der Liturgie des 6. Dezembers die Sequenz gestrichen, die das Fest als besonders bedeutend kennzeichnete. Text und Melodie sind hier zu finden.

Bild: das ganz besonders wunderschöne Ciborium der Kathedrale St. Nikolaus in Bari.

Stecken und Stab


Ich weiß nicht, wann ich den Knecht Ruprecht aus den Augen verloren habe. Jedenfalls war er, als ich selbst noch ein kleines Kind war, noch da. Der Typ war echt zum Fürchten. Und ich bin mir ziemlich sicher, daß ich mich ein bißchen gefürchtet habe. Auch wenn ein Indianer ja eigentlich völlig furchtlos ist. 

Ganz supergruslig fand ich damals jedenfalls, daß er damit drohte, die bösen Kinder - und das waren fast immer die Jungs - in den Sack zu stecken. Dann hat er doch am Schluß kein Kind in den Sack gesteckt, es gab nur ein Standpauke, und am Schluß hat uns Nikolaus, der seinen Knecht ja immer im Griff hatte, doch was geschenkt. Ich lebte damals im Rheinland, in einer eigentlich mehrheitlich protestantischen Stadt mit katholischen Sitten, wie es im Rheinland halt so ist.

Es stellt sich nun die Frage, ob man ihm - dem Schwarzen, der im Alpenraum auch noch mit zwei Bockshörnern rumläuft - wirklich nachtrauern muß. Als papsttreuer Kirchenbürger neige ich mittlerweile  zur Ansicht, daß er uns wirklich fehlt. 

Benedikt XVI hat in jüngerer Vergangenheit immer wieder auf die fatalen Folgen einer alles verstehenden, alles verzeihenden "Liebeskirche" hingewiesen.
... seit der Mitte der 60er Jahre wurde (das kirchliche Strafrecht) einfach nicht mehr angewandt. Es herrscht das Bewußtsein die Kirche dürfe nicht Rechtskirche, sonder müsse Liebeskirche sein; sie dürfe nicht strafen. So war das Bewußtsein dafür, daß Strafe ein Akte der Liebe sein kann, erloschen. Damals kam es auch bei ganz guten Leuten zu einer merkwürdigen Verdunkelung des Denkens.
Heute müssen wir wieder neu erlernen, daß die Liebe zu dem Sünder und die Liebe zu dem Geschädigten dadurch im rechten Ausgleich stehen, daß ich den Sünder in der Form bestrafe, die möglich und die angemessene ist. Insofern gab es in der Vergangenheit eine Bewußtseinsveränderungh, durch die eine Verdunkelung des Rechts und der Notwendigkeit von Strafe eingetreten ist - letztendlich auch eine Verengung des Begriffs von Liebe, die eben nicht nur Nettigkeit und Artigkeit ist, sondern die in der Wahrheit ist. Und zur Wahrheit gehört auch, daß ich denjenigen strafen muß, der gegen die wirkliche Liebe gesündigt hat.(Licht der Welt,  42, f.)
Mitte der 60iger Jahre verschwand auch Ruprecht. Ausgemerzt durch die antiautoritäre Welle, die zuallererst die Kindergärten erfaßte. An die Stelle des teils belohnenden, teils strafenden Paaares trat dieser dickbäuchige, rotnasige Suffkopf, dessen ikonographische Gestalt letztlich von einer Firma gestaltet wurde, die koffeinhaltige Zuckerplörre verkauft.

Mittlerweile hat die Welle offenbar auch die katholische Welt erfasst. Nett, artig, lieb, politisch korrekt, selbstverständlich inclusivelanguageschraubsprechend, multikultimäßig und radikal durchgegendert, so scheint sich die katholisch sich nennende Jungschar den zeitgeistgemäßen krampusfreien Nikolausauftritt vorzustellen.

Da wächst in mir das echte Bedürfnis nach einem krachledernen Auftritt eines grimmigen, bocksgehörnten  Ruprecht (im gesamten deutschsprachigen Raum), Ascheklas, Bullerklas, Klas Bur (Westfalen, Norddeutschland), Zwarter Piet, Pietermann, Swarte Piet (Niederlande), Pulterklas (Diethmarschen) Ruklas, Rupsack (Mecklenburg) Hans Muff (= der muffige Hans), Heiliger Mann, Düvel, Zink Muff, Zink Knatsch (Niederrhein), Belzebub, Pelzebock (Eifel und Mosel), Pelzebub (Baden), Pelznickel (Pfalz und Saar), Butz (Schwaben), Rumpelklas (Allgäu), Schmutzli, Düsseli (Schweiz), Semper, Klaubauf (Bayern), Krampus (Österreich), Schiachtperchten (Salzburger Land), Partl, Bartl (Kärnten, Steiermark), Leutfresser (Ostalpen), Père Fouttard (Frankreich), Hans Trapp (Pfalz), Biggesel, Böser Klaus, Einspeiber, Gangerln, Kläuse, Klosen, Busebrecht, Buzebercht, Kehraus, Klausmänneken, Klausenpicker, Klombsack, Spitzbartl, schwarz Käsperchen, Rollebuwe, Battenmänner, Bullkater, Dollochs, Erbsbär, Spitzbartel, Buttmandeln, Treichler  Geißelchlöpfer usw. (Professor Dr. Manfred Becker-Hubertis Aufzählung ist wie meist nahezu vollständig)

Das Bild stammt von einem Blog über das Village Life in Kreis Saarburg Germany.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Volk Zions, es kommt der Herr, der Erretter der Völker


Advent - 2nd Sunday: Introit from Corpus Christi Watershed on Vimeo.

Zum fünften Türchen gehört unbedingt der Introitus des Tages.

Maria und der Dornwald


Made in Germany ist nicht nur ein Synonym für gute Autos, sondern auch für gute Musik. So singen auch Chöre in Übersee - wie hier die amerikanischen Christopher Wren Singers - in diesem Fall ziemlich akzentfrei ein deutsches Adventslied.

Angeblich läßt sich die Tradition des Liedes bis auf das 16. Jahrhundert zurückführen. Es existieren dafür allerdings keine Belege und so geht man davon aus, daß das Lied wohl erst einige Zeit vor dem Jahr 1850 entstanden ist, als Wallfahrtslied. Es gilt als Weihnachtslied, ist aber wegen seiner Thematik wohl eher ein marianisches Adventslied.

Populär wurde es insbesondere durch den Abdruck in der Liedersammlung des Wandervogel-Bewegung, dem Zupfgeigenhansel. Die erste Auflage erschien in einem - bißchen Lokalpatriotismus muß sein - Darmstädter Verlag.

5. Türchen

Samstag, 4. Dezember 2010

Nun komm ...



Nur ein ganz kleines Stück. Und wieder "Nun komm der Heiden Heiland"

Das 4. Türchen

Freitag, 3. Dezember 2010

Nummer Eins



Zwei Bücher habe ich durch all die Jahre mit mir herumgeschleppt. Sie haben das Chaos meines Jugendzimmers überlebt, das Chaos meiner Pubertät, wie auch das Chaos meines Pubertärmarxismus, selbst die reichistische Phase. Eine Hausbesetzung, eine Häuserräumung, eine Straßenschlacht, ein Dutzend Umzüge, Katzen, Hunde und Kinder. Sie sehen etwas mitgenommen aus, die Bibel, meine Konfirmandenbibel, selbstverständlich eine luthersche, ist ein fragiler Haufen alten Papiers, den man ganz vorsichtig in die Hand nehmen sollte. Bei meinem Evangelischen Kirchengesangbuch anno 1959 ist der Einband etwas kaputt, aber das solide Bibeldruckpapier, auf dem es gedruckt ist, wird wohl noch ein Jahrhundert halten. Auch sonst ist es solid, steigt der Christus da doch nicht hinab "in das Reich der Toten" sondern "fährt nieder zur Hölle", und stehen da auch nicht die Toten auf, vielmehr erfolgt hier noch römisch-katholisch korrekt die "Auferstehung des Fleisches".

Die Nummer eins in diesem Gesangbuch ist Luthers Übersetzung des ambrosianischen Veni Redemptor gentium. Nun komm der Heiden Heiland. Auch dieses Lied hatte ein wenig gelitten. Es fehlten die marianischen Verse 2 und 3. Und heute ist das Lied im neuen EG nur noch die Nummer vier. Stattdessen beginnt es nun mit "Macht hoch die Tür". Auch ein schönes Lied, hörte man es nicht in jedem Supermarkt als "vorweihnachtliche" Hintergrundmusik zur Verkaufsförderung für billige Weihnachtsplätzchen und Coca-Cola-Weihnachtsmänner. Und daß Müntzers Übersetzung des Conditor Alme Siderum auf Platz Drei vorgerückt ist, hätt´ den Luther sicher tierisch geärgert. Mich ärgerts auch, kann ich diesen DDR-Heiligen Müntzer doch mittlerweile überhaupt nicht mehr leiden.

Tonal versus modal, Kirchenton gegen Kaufrauschmusik, das konnte auch musikalisch nur für den Sound des 18. statt des 16. Jahrhunderts ausgehen. Bei mir ist er (der Hymnus) immer noch die Nummer eins. Hatte da einen kleinen Disput mit unserem Scholaleiter, der die katholische Variante des "Veni" im Gotteslob besser findet als Luthers unvergleichliche Kontrafaktur. Ich find sie blöd (die neukatholische Version), vor allem wegen ihrer sprachlichen Archaismen, "Darob" klingt im 20. Jahrhundert eben einfach nur albern. Und sich mit dem begnadedsten Wortmetz der Renaissance zu messen, sollte man besser erst gar nicht versuchen.

Adventskalenderfenster Nr. 3. Sopransaxophon mit Gregorianik zu mischen ist ein ziemliches mutiges Experiment. Klingt aber nicht schlecht. ("nicht schlecht" ist der norddeutsche Superlativ, und bedeutet ins Landrattische übersetzt soviel wie "himmlisch", "wundervoll", "einzigartig" und was dergleichen südeuropäische UnterdemWeißwurstäquatortypische Exaltiertheiten noch mehr sind)

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Häßlich, schmucklos, formlos




Folgende Aussage in dem unbedingt lesenswerten Interview mit Guido Pozzi, dem Sekretär der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei, hat mich doch, sozusagen, irritiert:
Es gibt Bischöfe und Priester, die in der Nachfrage nach dem alten Ritus vor allem das Risiko einer Sehnsucht nach dem Ästhetischen, rein Ornamentalen, Formalistischen sehen.
Bei Anwendung der Methode des argumentum e contrario, die jeder Jurist ja im Schlafe beherrscht, folgt daraus, daß man in der Nachfrage nach dem neuen Ritus vor allem das Risiko einer Sehnsucht nach dem Häßlichen, Schmucklosen, Formlosen sehen muß.

Manche Argumente in dieser endlosen Debatte sind doch so dämlich, daß man sich wundern muß, daß sie wirklich von Menschen, von denen man doch erwarten kann, daß sie zumindest derzeit noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, vorgebracht werden. (Juristen lieben Schachtelsätze!)

Ich versuche mich an einem musikalischen Adventskalender. Gregorianik paßt im übrigen zu beiden Meßformen. Oder sie sollte zumindest dazu passen, wenn man sie nicht mit Sakropop kombiniert.  Bei obigem (Juristen lieben Schraubsprech!) Musikstück handelt es sich um das Halleluja des Ersten Advent.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Ne irascaris - Vertreibung aus dem Jammertal



Das Rorate coeli (Hymnus) in einer Fassung der Blackfriars von Oxford.

Es dauert schon ziemlich lange, bis man die goldenen Schätze der katholischen Liturgie und Musik entdeckt. Sie werden nicht gerade auf dem Präsentierteller dargeboten. Dieser Wechselgesang findet sich weder in Gotteslob noch im GT noch in irgendeinem offiziellen liturgischen Buch. Die Textfassung und Melodiefassung fand sich zuletzt im liber usualis von 1964. Daß dieses Lied, das von Sünde und Schuld, Elend und Verzweiflung - und Erlösung -  handelt, so versteckt wird, hat, vermute ich,  diesselben Gründe und Motive, die dazu führten, daß in unserem Gotteslob - das ich für das schlechteste Gesangbuch der Welt halte - das Wort "Jammertal" gegen die authentische Textgestalt entsprechender Hymnen ausgemerzt und durch "Erdental" ersetzt wurde.

(Weiß eigentlich jemand, wer dafür verantwortlich ist und seit wann die Erdentalisierung stattfand?)

Was die Gründe für die Tilgung des Wortes "Jammertal" angeht, habe ich vor kurzem eine frappierend schlüssige Erklärung in einem nunmehr mehr als 150 Jahre alten Text gefunden:
Der modernen Irrtümer sind unzählige; doch sie alle, schaut man genauer hin, haben ihren Ursprung und finden ihren Tod in zwei obersten Negationen; eine von ihnen bezieht sich auf Gott, die andere bezieht sich auf den Menschen. Die Gesellschaft leugnet von Gott, daß Er sich um seine Geschöpfe kümmert, und vom Menschen, daß er empfangen wurde in Sünde. Sein Stolz flüsterte dem Menschen unserer Tage zwei Dinge ein, die er beide geglaubt hat: daß er ohne Makel und Flecken sei und daß er Gott nicht nötig habe; daß er stark sei und daß er schön sei. deshalb sehen wir ihn dünkelhaft aufgeblasen ob seiner Stärke und Macht und verliebt in seine Schönheit.
Leugnet man die Sünde, so leugnet man, neben vielem anderen, die folgenden Dinge: daß das irdische Leben ein Leben der Buße ist und daß die Welt, in der sich dieses Leben abspielt, ein Tal der Tränen sein muß; daß das Licht der Vernunft matt ist und unsicher flackert; daß der Wille des Menschen schwach und versehrt ist; daß die Lust uns gegeben ward als Versuchung, damit wir uns befreien von ihrer Anziehungskraft; daß der Schmerz etwas Gutes ist, und wenn er aus einem übernatürlichen Beweggrund in freiwilliger Hinnahme angenommen wird; daß die Zeit uns gegeben ward zu unserer Heiligung; daß der Mensch der Heiligung bedarf." (Juan Donoso Cortés, Marquis von Valegamas, Brief an Kardinal Fornari vom 19. Juni 1852)
Dank Wikipedia findet sich der Text des Hymnus vollständig im internet mit Übersetzung.


KV: Tauet Himmel, von oben,
ihr Wolken, regnet den Gerechten.

Zürne nicht länger, Herr,
nicht länger gedenke unserer Missetaten.
Siehe, die Heilige Stadt ist zur Wüste geworden,
Sion ist zur Wüste geworden.
Jerusalem ist verödet,
das Haus Deiner Heiligung und Deiner Herrlichkeit,
wo Dich gepriesen haben unsere Väter. Kv.

Wir haben gesündigt und sind unrein geworden
und sind gefallen wie ein Blatt,
und unsere Missetaten haben uns wie der Wind fortgetragen.
Du hast Dein Antlitz verborgen vor uns
und uns zerschmettert durch die Wucht unserer Schuld. Kv.

Sieh an, Herr, die Betrübnis Deines Volkes,
und sende, den Du senden willst.
Sende aus das Lamm, den Beherrscher der Erde,
vom Felsen der Wüste zum Berg der Tochter Zion,
dass es hinwegnehme das Joch unserer Knechtschaft. Kv.

Ihr werdet getröstet, ihr werdet getröstet, mein Volk!
Bald wird kommen Dein Heil.
Warum verzehrst Du Dich in Trauer,
weil sich erneuert hat dein Schmerz?
Ich werde Dich retten, fürchte Dich nicht.
Denn ich bin der Herr, Dein Gott,
der Heilige Israels, Dein Erlöser. Kv.

Die Übersetzung zeigt es: eindeutig zuviel "lacrimarum vallae".

Es wird wohl noch einen anderen Grund haben, warum seit dem Liber Usualis, das zuletzt 1964 herauskam, dieses Lied, wie andere, nicht mehr in Liederbüchern auftaucht. Die Identifikation der Kirche mit dem Volk Israel ist unsagbar und unsingbar geworden, seit man den "eigenen Heilsweg" des Volkes Israel entdeckt haben will. Wir sind also schon lange keine "spirituellen Semiten" (Pius XI) mehr.

Das liber usualis ist hier herunterzuladen (Vorsicht 115 MB!)